Happy Birthday und wo bleibt dein Buch?

Heute ist mein Geburtstag, ich werde 35 Jahre alt und da mich einige in letzter Zeit immer wieder gefragt haben, wo denn mein Buch nun bleibt - hier der Stand der Dinge! Zugegeben, bei meinen vielen Projekten es ist nicht leicht, den orangen Faden im Blick zu behalten, daher leiste ich hier umfassende chronologische Aufklärung:

2019 hat alles mit Fridays For Future begonnen, hier bin ich auf die Zukunft gestoßen und habe mich zum Schreiben verpflichtet und ich schreibe noch immer. Dieser manifeste Gegensatz zwischen uns melancholischen Millennials und Gretas rebellischen Globals (“Generation Z”) fesselt mich bis heute und hat ein Tor in eine unerwartete Richtung geöffnet.

2020 führten mich meine Buch-Recherchen nämlich zu einer tiefer liegenden Systematik von Ordnungen, die mein historisches Verständnis revolutioniert hat: Die Geschichte der Menschheit als Abfolge von Aufbruch und Zerfall, stets pendelnd zwischen Sicherheit und Freiheit, zwischen Fortschritt und Bewahrung. Seitdem analysiere ich diese Muster mit kritischer Faszination und wie von selbst hat sich hieraus die Entwicklung einer reichhaltigen Theorie ergeben, deren Ausarbeitung noch einige Jahre in Anspruch nehmen wird.

2021 ergibt so auf einmal alles Sinn: Die geschwungene, gebrochene Architektur unserer Zeit genauso wie die Ruinenlust und Melancholie der “Lost Places” - wenn ich durch die Straßen laufe, tauche ich ein in die Dynamik der Geschichte. Ich lese in Fassaden und Straßenverläufen von den Umbrüchen vergangener Epochen und lerne aus der Spurensuche nach vergessenen Orten etwas für unseren “Zerfall der Alten Ordnung”. Nicht zufällig ist dies seitdem der neue Buchtitel, dank der Ordnungstheorie ergibt sich die Verortung unserer Gegenwart am Ende eines Zyklus und so erklären sich die kaskadierenden Krisen wie auch das Zeitgefühl des Zerfalls. Insbesondere wir Millennials steht hier zwischen den Ordnungen - die Alte funktioniert nicht mehr und eine Neue ist noch nicht in Sicht - und geraten immer stärker unter Druck, während sich alles um uns herum zuspitzt.

© Ralf Münch (Nordbayerischer Kurier)

2022 habe ich dann von einer renommierten Literaturagentur das erste konstruktive Feedback zu meinem Manuskript erhalten, doch gleichfalls mit dem Hinweis, dass zurzeit nur sehr selten neue, unbekannte Autor:innen aufgenommen werden. Und so habe ich mich entschieden erstmal weiter meine publizistische Präsenz auszubauen, was mich immer tiefer in die “Lost Places” meiner Heimatstadt Bayreuth geführt hat. Hinter Orten, die ich schon ewig kenne, habe ich so neue Bedeutungen entdeckt - eine ganz neue Art Geschichte zu erleben hat sich hieraus entwickelt: Siedlungen und Städte als dynamische Prozesse, die sich in Schüben und Zyklen, entlang Flüssen und Tälern ausbreiten.

Aus dieser kulturgeographischen Perspektive entwickelt sich gerade eine ganz neue Art von Museum - digital, vernetzt, immersiv - welches die Geschichte der Industrialisierung am Beispiel Bayreuths erzählen soll. Eine Initiative, die diesen Sommer eine unglaubliche Eigendynamik entwickelt hat - und damit gänzlich unerwartet einen erheblichen Teil meiner Zeit wieder in meine Heimatstadt verlagert. Womöglich ist das Bayreuther Netzwerk zwar ein überschaubarer Hügel, aber doch einer, von dem aus sich besser durchstarten lässt!

Zusammengefasst lässt sich also festhalten: Das Sp(ü)ren des Umbruchs steht im Mittelpunkt all meiner Projekte - die intellektuelle Analyse durch die Theorie, das persönliche Erleben durch Buch und Artikel sowie nun auch die praktisch-sinnliche Wahrnehmung durch das zukünftige Industriemuseum. Bis Jahresende möchte ich das Manuskript überarbeiten und die zweite Agenturrunde starten, und wer weiß schon, was das neue Lebensjahr bringt?

Die Alte Ordnung muss fallen

Seit einigen Wochen verbreitet Russland ein perfides Narrativ in der Welt: es sei Verbündeter des unterdrückten Globalen Südens und führe einen antikolonialen Kampf gegen den Westen. Dabei war und ist Russland - wie später die Sowjetunion - ebenso eine wesentliche Kolonialmacht, welche die Alte Ordnung des 20. Jahrhunderts mit aufgebaut hat.

Die russischen Kontinental-Eroberungen ab 1547, vom Baltikum über die Ukraine, den Kaukasus bis nach Zentralasien, stehen dem europäischen Übersee-Kolonialismus in nichts nach. Auf dem Höhepunkt der Alten Ordnung in den späten 1950er Jahren beherrschte das Gleichgewicht des Schreckens aus Ost und West - oder besser der Globale Norden - den Süden fast vollständig. 

Und gerade der beginnende Zerfall der Kolonialordnung ab den 60ern, die Dekolonisierung im Zeichen des Kalten Krieges, ließ die Ost-West-Stellvertreterkriege nur mehr eskalieren. Ohne Frage hat der Westen, die USA insbesondere, schreckliche Verbrechen begangen und ihre eigenen Werte vielfach verraten - doch die Sowjetunion war hier nicht besser, auch sie betrieb trotz sozialistischer Befreiungsrhetorik gnadenlose Macht- und Einflusspolitik.

Im 21. Jahrhundert muss der Kolonialismus des Nordens nun ein für allemal enden, die Alte Ordnung - fossil, national, kolonial - muss fallen. Eine neue Zeit ist angebrochen: Digitalglobalisierung und Klimakrise erzwingen einen historischen Umbruch, verlangen nach einer geeinten und handlungsfähigen Welt. Die alte Hierarchie der Nationalstaaten hingegen - America und Russia First - führt uns mit Gewalt und Terror zurück in eine Vergangenheit, die längst nicht mehr existiert.

Es ist höchste Zeit für ein neues Bündnis der einst Unterdrückten, ein zukünftiger Klima- und Demokratie-Club wird maßgeblich von den Dekolonisierten getragen werden. Von den jungen Demokratien des Globalen Südens, aber auch von der ebenso jungen Europäischen Union, deren Staaten in großer Mehrheit auch einst Unterdrückte waren. Recht statt Macht, transnationale Integration statt isolationistischer Spaltung - die “kleinen” Staaten sind hier Vernetzungsgewinner, die großen Vernetzungsverlierer, was im Übrigen die reaktionären und anti-globalistischen Kräfte in den einstigen Imperien (Frankreich, UK, USA, Russland) bestens erklärt.

Der Westen muss enden und mit ihm seine Alte Ordnung. Wir sollten keine Angst mehr davor haben, die alte Industrielle Ordnung war nie sozial, gerecht oder sicher - sie war nur ein kolonialer Kompromiss, eine segregative Mittelstandsgesellschaft, ein weißer Sozialstaat auf Kosten des Globalen Südens.

Eine neue Ordnung zu erkämpfen - nachhaltig, globalistisch, inklusiv - wird Jahre und Jahrzehnte dauern, aber es wird gelingen. Nur so werden letztlich Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit für alle Menschen möglich. Für diese Zukunft kämpft heute schon die Ukraine und wir müssen uns ihnen anschließen - für alle Unterdrückten und gegen den historischen Unterdrücker Russland.

Der Westen am Ende

Wie verzögert die Wahrnehmung der Öffentlichkeit doch ist! Zu Beginn des Ukraine-Krieges vor sieben Wochen waren Schock und Angst vor der russischen Übermacht auch dann noch allgegenwärtig, als sich die ukrainischen Erfolge schon abzeichneten. Und heute scheint die Stimmung genau ins Gegenteil gedreht: Russland sei auf dem Rückzug, Putin hätte den Krieg schon verloren - obwohl sich sein Gegenschlag doch bereits anbahnt.

Klar ist: Aus den sieben Wochen werden sicherlich sieben Monate, wenn nicht gar sieben Jahre. Der russische Präsident ist “all in”, er hat wirklich alles in die Waagschale geworfen, denn die schiere Existenz einer souveränen und demokratischen Ukraine steht Putins Traum einer eurasischen Weltmacht für immer im Wege - er will und kann sich nicht mehr mit Krim und Donbass zufrieden geben.

Und nachdem er nun die Reihen geschlossen, den Rubel stabilisiert und das erste Zeitfenster des Kriegsschocks geschlossen hat, steht der zermürbende Ermüdungskrieg gerade erst am Anfang. Leider sind die russischen Ressourcen hierfür - materiell (Militär) wie immateriell (Resilienz) - sehr hoch. Die Ukraine hingegen kann zwar immateriell mehr als mithalten, doch bei ihren materiellen Ressourcen sieht es weit schlechter aus.

Transformationskrieg

Diese Asymmetrie muss der Westen unbedingt ausgleichen. Die Analogie zum sowjetischen Einmarsch in Afghanistan 1979 ist nicht ganz falsch, doch Polen kann hierbei nicht alleine "das neue Pakistan" sein, die NATO und die ganze EU - insbesondere Deutschland - müssen mit Waffen, Waffen und Waffen das Ressourcen-Gleichgewicht wiederherstellen. Sollte das ausbleiben, wird erst die Ukraine, dann das Baltikum und schließlich die ganze Europäische Idee von Freiheit, Gleichheit und Demokratie fallen und scheitern.

Und selbst diese Ressourcen könnten langfristig nicht reichen. Die Weltordnung sortiert sich in diesen Jahren des globaldigitalen Umbruchs neu, der Westen ist aus der Zeit gefallen. Er ist nur noch eine Kategorie des Kalten Krieges, als der Norden noch die Welt beherrschte und den Globalen Süden nur als peripheres Schlachtfeld betrachtete - diese historische Ungerechtigkeit endet nun und mit ihr die alten industriellen Blöcke.

Neue globale Ströme sammeln sich unabhängig von Himmelsrichtung und Geographie, der Westen muss sich anpassen, öffnen, ja in einem solchen neuen Bund der Demokratien aufgehen - denn alleine wird er diesen Transformationskrieg nicht mehr gewinnen können. Russland hat sich alte (Indien, Iran) und neue Verbündete (China, Ägypten) in der Welt gesucht, die früher oder später Putins Autokratie stützen werden. Der Westen begreift diese Zeitenwende jedoch erst langsam, ist er jetzt endlich bereit seiner privilegierten, rassistischen, ja historischen Überheblichkeit abzuschwören?

Globalisierung der Demokratie

Es sind nur noch 18 Monate bis zur nächsten US-Präsidentschaftswahl und wer will ausschließen, dass der nächste Präsident nicht gar aus der NATO austritt? Für Putins gesamte Kriegsstrategie ist dieses Datum leider ein schlüssiger Fluchtpunkt - und ein Risiko, auf das sich Europa und der restliche Westen vorbereiten muss. Die USA sind ein zerrissener Partner und deshalb müssen wir das Undenkbare heute schon mitdenken: Wie könnte sich die EU ohne die USA noch gegen Putin und seine Verbündeten wehren?

Nur wenn sie die innere Integration endlich vertieft und zu einem tatsächlichen Bundesstaat wird; nur wenn sie ihre offenen Flanken nach außen integriert - vom Balkan über die Türkei (nach Erdogan) bis in den Kaukasus - und eben nur, wenn sie sich auch politisch diversifiziert und global alle demokratischen Kräfte gegen die autokratische Allianz sammelt. Handelsabkommen und Verteidigungsabkommen mit Indien und Indonesien, Südafrika und Nigeria, Argentinien und Mexiko - willkommen in einer globalisierten Welt, willkommen im 21. Jahrhundert.

Ein langer Krieg wirft seinen Schatten voraus, in der ersten wirklich globalen Epoche der Menschheit muss der bisherige Westen enden, um die universelle Idee von Freiheit, Gleichheit und Demokratie zu retten. Diesem Ende wohnt jedoch trotz aller Schrecken ein hoffnungsvoller Anfang inne: Die Globalisierung der Demokratie, vielleicht gar die Demokratisierung des Globus - und alles dank dem unbezwingbaren Mut der Ukrainer:innen.

Die Geburt einer neuen Epoche

Wie lange haben wir uns nach diesem Moment der Klarheit gesehnt! Nach drei Jahrzehnten der Asymmetrie und Unübersichtlichkeit schenkt uns Putin wieder einen eindeutigen Schurken, gegen dessen Aggression heute alleine in Berlin Hunderttausende auf die Straße gingen. Noch vor einer Woche war ich mir sicher, dass er eine militärische Invasion der Ukraine nicht wagen würde, denn der Preis dafür wäre schlicht viel zu hoch. Er hat es trotzdem getan und für ein Entsetzen gesorgt, aus dessen Schockstarre die Welt jetzt langsam wieder erwacht - stärker und mutiger denn je.

Was auf den ersten Blick aussah wie die mächtige Offensive einer Großmacht, schrumpft von Tag zu Tag zum letzten Aufbäumen eines Regimes, das noch im letzten Jahrhundert lebt. Alle Offensiven, die Putin seit 1999 vorangetrieben hat, waren in Wahrheit bloß Verteidigungskriege eines reaktionären Diktators. So auch dieses Mal. Die Ukraine hatte sich bereits unumkehrbar für die offene, vielfältige und demokratische Gesellschaft entschieden, der russische Präsident jedoch hat das - aus Angst um die eigene Macht - nie akzeptiert und in völliger Verkennung der Lage nun eine ungewinnbare Invasion vom Zaun gebrochen.

Diese Verzweiflungstat ist ein Zeichen eminenter Schwäche, Putin steht jetzt nackt vor uns, entmantelt und entblößt als menschenverachtender Kriegstreiber. In unserer komplexen Welt ist diese neue Eindeutigkeit befreiend und sorgt im postmodernen Wirrwarr für ein lange vermisstes Wir-Gefühl, für eine Sammlung aller demokratischen Kräfte und das ist erst der Anfang. Der aktuell vielzitierte “Epochenbruch” ist nämlich nicht nur das Ende der alten Zeit, mit ihren Reaktionären von Trump über Erdogan bis Putin - an dieser Bruchlinie vollzieht sich gleichsam die Geburt einer ganzen neuen Epoche.

Am Horizont zieht ein neuer Systemkonflikt auf, der die identitäre Zersplitterung der letzten Jahrzehnte hinter sich lässt, aber sonst nur wenig mit dem historischen Kalten Krieg gemein hat. Die globalen Kompassnadeln richten sich neu zwischen den transnationalen Kräften der Demokratie und den auf Abschottung setzenden Kräften der Autokratie aus. Begonnen hat das schon mit den Zäsuren von 2016, in deren Folge sich auch in Deutschland die politischen Lager neu sortierten - zwischen den transnationalen Grünen auf der einen und der nationalistischen AfD auf der anderen Seite.

Putins Kriegswahnsinn treibt die Herausbildung dieser Konfliktlinie nun weiter voran und erweist all seinen Brüdern im Geiste, insbesondere dem chinesischen Diktator Xi Jinping, einen Bärendienst - denn der Preis für den Angriffskrieg auf die Ukraine könnte mittelfristig der Regimewechsel in Russland und damit der Neubeginn der russischen Demokratie sein. Einen Verbündeten, auf den die autokratische Allianz eigentlich nicht verzichten kann.

Doch der Weg dahin ist noch weit, heute Nacht schlagen wieder Raketen in Kiew und anderen ukrainischen Städten ein, heute Nacht bangt die Welt wieder um Volodymyr Zelensky und all die mutigen Ukrainer:innen, die sich der Autokratie mit ihrem Leben in den Weg stellen. Für die Demokratie, für die Freiheit - und für einen globalen Frühling.

Lebensaufgabe

2021 geht zu Ende und es war auf jeden Fall besser als sein bescheidener Vorgänger. Trotz der nicht enden wollenden Pandemie habe ich dieses Jahr wesentliche Fortschritte gemacht, sowohl persönlich als auch im Hinblick auf mein Buchprojekt.

Was einst als Abrechnung mit meiner konservativen Millennial-Generation begonnen hatte und dann hier 2019, inspiriert von den Globals um Greta Thunberg, zu einer hoffnungsvollen Zukunftserzählung wurde, hat sich inzwischen zu einer umfassenden Theorie gesellschaftlicher Ordnungen weiterentwickelt. Deren Aufstieg und Zerfall zu erforschen, ist eine gigantische Herausforderung und birgt unvorstellbares Potenzial - es fühlt sich so an, als hätte ich meine Lebensaufgabe gefunden. Aufgrund dieser Veränderungen ist ein Relaunch dieses Blogs im neuen Jahr überfällig, seid gespannt!

Ein weiterer Meilenstein von 2021 waren meine ersten Artikelveröffentlichungen überhaupt. ‘Lost Places’ als Spuren gesellschaftlicher Umbrüche hat sich als Thema fast wie von selbst ergeben, spiegelt sich darin doch der Kern meiner Ordnungstheorie. Angefangen in meiner Heimatstadt Bayreuth, sollen 2022 nun auch Artikel über mein Zuhause Berlin folgen.

Last but not least habe ich nun auch endlich das Exposé und die Leseprobe von “Generation Global - Der Zerfall der Alten Ordnung” fertiggestellt, das neue Jahr wird also ganz im Zeichen der Verlagssuche stehen. Meldet Euch gerne, wenn ihr einen Kontakt zu einer Literaturagentur oder Autor:in habt - auf dem umkämpften Markt ist es leider wirklich schwer als Erstautor eine Chance zu bekommen.

So weit, so gut. Danke 2021 für all die neuen Gewissheiten und uns allen einen guten Rutsch in ein noch besseres Jahr 2022!

Lost Places

Je mehr ich mich mit der neuen globalen Generation und ihrem Zukunftskampf beschäftige, desto klarer wird mir tagtäglich wie sehr wir Millennials im Gegensatz dazu die Generation des Zerfalls sind. Einer, zumindest im globalen Westen, halbwegs geordneten, ja stabilen und sicheren Kindheit steht spätestens seit dem 11. September 2001 eine mittlerweile zwanzigjährige Krisenerfahrung entgegen, die sich auch heute immer noch weiter zuspitzt.

Das erklärt vieles: Unser omnipräsentes Bedürfnis nach Sicherheit, die Rückkehr der Spießigkeit, das Revival von Religion, Ehe und Familie - wir streben nach allem, was uns Halt verspricht. Der umfassende Kontrollverlust, das Rendezvous mit der Hochglobalisierung bringt eine lange nicht mehr dagewesene Sehnsucht nach Ruhe und Ordnung hervor. Nostalgie und Retromantik sind die naheliegendste Reaktion unserer verunsicherten Seele. Ob Altbauwohnung oder Swing-Tanzkurs, Hipsterbärte oder Vintage-Look - bewusst oder unbewusst suchen wir unser Heil in den Identitäten der Vergangenheit.

Aber neben dieser kompensatorischen Nostalgie kommt auch immer wieder eine tiefsitzende Melancholie zum Vorschein. Verlassene Orte, verfallene Häuser und Fabriken ziehen uns magisch an - “Ruinenlust” nennt man dieses Phänomen im Englischen, die zerfallenen Stätten sind wie ein Spiegel unserer inneren Zerrissenheit. Als ob unser Unterbewusstsein mit jeder Ruine, mit jedem lost Place den Verlust der eigenen Sicherheit nochmals durchleben würde. Als ob das Düstere, das Verwilderte, das Überwuchernde uns dabei hilft, unser Millennial-Trauma zu verarbeiten. 

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Das ist nichts ganz Neues. In nahezu jedem Jahrhundert kam es immer wieder zu Ordnungszerfall und Gesellschaftszusammenbrüchen. Zum Ende der Renaissance, des Barock, der Klassik und nun zum Ende der Moderne - und jedes Mal entspringen diesen Krisen exotisierende und historisierende Nostalgien bis hin zu fantastisch grotesker Melancholie. Diese Dunkelromantik hat Tradition und gerade deshalb sollten wir uns den Gefahren solches Nihilismus bewusst sein. Wir sind nicht die erste Generation des Zerfalls und wären auch nicht die erste, die sich darin verliert.

Für den Moment bescheren uns die verfallenen Orte ein unbeschreibliches Gefühl, ich bin selbst immer wieder fasziniert wie sehr mich lost Places packen können. Doch sollten wir hierbei nicht der Illusion verfallen, die Vergangenheit könne wiederhergestellt werden. Die Erinnerung des Verfalls ist wertvoll, solange sie uns nicht lähmt oder zum Glauben verführt, dass irgendwelche verlorene Orte, verlorene Zeiten - und damit verlorene Sicherheit - wieder zurückzuholen wären. Wenn wir zu Gefangenen unserer Nostalgie werden, dann verharren wir im Gestern und kriegen die nötige Kurve nicht mehr!

Alles spitzt sich zu, heute am Endpunkt der Industriellen Ordnung hat die Menschheit das Klimasystem verwüstet, überall bricht Chaos aus. Die Hoffnung, die Rettung aus dieser dramatischen Krise kann die Vergangenheit nicht hervorbringen, denn sie ist für das Heute verantwortlich. Sicherheit ist nur noch in Zukunft, in radikaler Veränderung zu finden. Und das führt uns zurück an den Anfang: Wir melancholischen Millennials müssen uns dem Zukunftskampf der globalen Generation anschließen, bevor es zu spät ist. Sonst gibt es in ein paar Jahren und Jahrzehnten nur noch verlassene Orte und lost Places.

Ich hatte Corona

Ja, ich hatte eine bestätigte Corona-Infektion als Krönung dieses bescheidenen Jahres. Es ist unklar, wo ich mich angesteckt hatte und nein, ich hatte mich tatsächlich an die Regeln gehalten. Trotzdem kann man sich anstecken und deswegen ist diese Krankheit und die Pandemie insgesamt ja so tückisch. Einige Kommentare von Freund*innen dazu (“Was machst Du nur für Sachen”) fand ich etwas befremdlich - als ob die Erkrankung meine eigene Schuld gewesen wäre. Das fördert Stigmatisierung und kann dazu führen, dass Menschen aus Angst ihre Infektion verheimlichen.

Natürlich gibt es die notorischen Leugner*innen, die mit höherer Wahrscheinlichkeit erkranken - doch die große Zahl der Menschen erkrankt unbewusst und unverschuldet! Mein Verlauf war zum Glück relativ mild und dennoch war das kurze Fieber heftig, der begrenzte Geruchs- und Geschmacksverlust belastend und ich bin heute nach 4 Wochen immernoch nicht wieder topfit. Aber jetzt ist dieses verdammte Jahr 2020 endlich Geschichte und ich wünsche uns allen so sehnlichst wie nie ein besseres neues Jahr!

2021 wird stürmisch bleiben und doch hoffe ich persönlich, zumindest mein Buch fertigstellen zu können. Im Dezember war eigentlich die Kontaktaufnahme mit Verlagen und Agenturen mittels Exposé geplant, krankheitsbedingt ist das nun meine Januaraufgabe. Wie immer hier nun eine kleine Leseprobe, die den Kern meines Werkes klar wie nie in den Mittelpunkt stellt - den Zerfall der Alten Ordnung, den Zerfall als Zeitgefühl unserer Millennial-Generation:

Mauerfall, 11. September, Brexit und Trump - unter dem Druck der digitalen Globalisierung zerfällt die Alte Ordnung in rasendem Tempo und die Corona-Pandemie beschleunigt diesen Zerfall auf dramatische Weise. Failing States und Bürgerkriege, Korruption und Naturkatastrophen, jeden Tag gerät unsere Welt mehr aus den Fugen.

Wir stecken fest in einer Postmodernen Krise der Vereinzelung - das Individuum ist alles, die Gesellschaft nichts! Seit Jahrzehnten schleift das neuliberale Glaubensbekenntnis jede kollektive Befestigung und lässt Milliarden Menschen weltweit in Existenznot zurück. Trotz der explosiven Globalen Frage nach Sicherheit und Gemeinschaft zerschmettert der Marktfundamentalismus weiter ungerührt die letzten Institutionen der Alten Ordnung.

Aus ihren Trümmern kriechen überall die Geister der Vergangenheit, sie locken mit falschen Versprechen und verkaufen ihre Nostalgie teuer an die Meistleidenden. Ihre rechten Volksmärchen beschwören die gute alte Zeit der Nationen und Grenzen - eine Zeit, die längst abgelaufen ist. Eine Epoche, deren Untergang wir alle tagtäglich spüren.

Nun geht mit Angela Merkel auch noch die Lotsin von Bord, ohne unsere Millennial-Kanzlerin droht meiner verunsicherten Generation nur noch mehr Chaos. Als Letzte noch in eine halbwegs intakte Ordnung geboren, sind wir seit unserer Jugend im freien Zerfall. Wir sehnen uns nach Halt und Überschaubarkeit, nach Zuflucht ins Bio-Biedermeier und blicken melancholisch auf die verlassenen Orte und Ruinen des Vergangenen. Die ewige Kanzlerin war unsere letzte Gewissheit, das Bollwerk gegen die Welt von Gestern. Alle ahnen: Auch bei uns in Deutschland ist der Weg für den Rechtsruck jetzt frei.

Da betritt auf einmal eine neue Generation, eine neue Hoffnung die politische Weltbühne. Die Globals sind die Ersten, die im Chaos aufwuchsen und keine Ordnung mehr kennen. Gezeichnet von Trumpismus und Pandemie, in ihrer Zukunft existenziell bedroht, organisieren sie sich in solidarischen Strukturen und übernehmen kollektive Verantwortung - für sich und den ganzen Globus.

Von Chile bis Hongkong, vom Sudan bis nach Schweden erhebt sich die jüngste Bewegung, die die Welt je gesehen hat. Zum Überleben müssen sie nun erstmals globale Antworten finden - Klimagerechtigkeit und Antirassismus, globale Demokratie und politische Freiheit. Als ‘Fridays For Future’ und ‘Black Lives Matter’, als ‘March For Our Lives’ und diverse Demokratiebewegungen kämpfen sie so leidenschaftlich wie es sich kaum eine*r von uns Millennials getraut hatte. Vereint hinter der Wissenschaft sind die Globals die Glut der nächsten Aufklärung, das Feuer der Transformation. Sie haben nichts zu verlieren, nur die Zukunft zu gewinnen.

Ein Grenzjahrzehnt hat begonnen. Das Alte ist noch nicht gänzlich untergegangen und das Neue steckt buchstäblich noch in den Kinderschuhen - diese Dekade wird entscheidend für das Überleben der menschlichen Zivilisation. Unter den pandemischen Schockwellen werden Vergangenheit und Zukunft brutal aufeinanderprallen: fundamentale Konflikte, fortgesetzter Zerfall und beschleunigtes Chaos. Und mittendrin wir Millennials, die wir doch eigentlich nur unsere Ruhe haben wollen. 

Die 20er Jahre werden unsere größte Zumutung. Erst die nie dagewesenen Corona-Einschränkungen und schließlich die allesentscheidende Klimakrise - wir sollten uns daran gewöhnen, unser Ego, unser privates Glück auch in Zukunft für das Gemeinwohl zurückzustellen. Wenn die postmoderne Vereinzelung nicht endet, dann endet jede*r Einzelne von uns. Wir müssen unsere Komfortzone dauerhaft verlassen, Partei ergreifen, uns auf eine Seite stellen, ja festlegen - genau das, was wir unser Leben lang tunlichst vermieden haben. Denn Ruhe und Sicherheit, Stabilität und Ordnung sind nur noch im Kollektiv, in Gesellschaft, in Zukunft zu finden.

Krisis heißt Entscheidung, die Uhr tickt! Für uns Millennials ist die Zeit gekommen zu entscheiden - zwischen national und global, zwischen Nostalgie und Hoffnung, zwischen der Welt von Gestern und der Welt von Morgen. Die Globals sind unsere zweite Chance.

Geburtstagsupdate

Lange habt ihr nichts mehr von mir gehört, aber im Gegensatz zum letzten Winter ist das diesmal eine gute Nachricht! Dieses pandemische Jahr hat mir wie vielen Kurzarbeitenden unverhofft weit mehr Zeit geschenkt als erwartet. Und nach der langen Stagnation der dunklen Monate, konnte ich im letzten Halbjahr so viel lesen und schreiten wie nie zuvor in meinem kurzen Autorendasein. 

Durch den Input vieler kluger Bücher konnte ich das Konzept von Generation Global noch ausbauen und vertiefen, so dass ich seit einiger Zeit endlich fleißig am Fließtext der ersten 3 Kapitel feilen kann. Mit der vor 12 Monaten erhofften Fertigstellung bis zum 30. August 2020 ist es natürlich nichts geworden, aber im Frühjahr 2021 scheint sie - vorbehaltlich erneuter Winterblockaden - erreichbar!

Ursprünglich hatte ich Ende August vor allem deswegen angepeilt, weil ich heute 33 Jahre alt werde. Und das ist nicht nur eins meiner Lieblingsalter - ein Buch zu schreiben steht auch auf der Liste an Dingen, die ich mit 33 gerne geschafft hätte. Aber gut, die große Party ist coronabedingt auch erstmal auf den Frühling verschoben, höhere Gewalt. So bleibt mir eine zweite und wesentlich realistischere Chance, diesen Punkt zumindest noch in diesem Lebensjahr abzuhaken. 

Für Euch nun wie immer eine kleine Leseprobe aus Kapitel 1:

Nach den Auf- und Umbrüchen der 60er und 70er Jahre hatten sich die Westdeutschen in den 80ern langsam an Mauer und Teilung gewöhnt. Ein optimistischer Star Wars-Eskapismus, ein biederer Kanzler aus Oggersheim und das neue Privatfernsehen sollten die Erschütterungen der letzten beiden Jahrzehnte vergessen machen. Die Proteste gegen die Nachrüstung ebbten ab und man richtete sich gemütlich in der stabilen Blocklage ein. Eine neue Normalität der Sättigung und Langeweile, eine neue Generation geprägt von Konsum und Markenwahn schuf die Voraussetzungen für die sorglosen 90er. In diesen beiden Boomer-Jahrzehnten vor der Jahrtausendwende spielte sich meine Kindheit ab.

Wenn Gorbatschow auch zusehends Hoffnung versprühte, so glaubten doch nicht mal die Kühnsten weder diesseits noch jenseits der Mauer an einen schnellen politischen Umbruch. Und genau deshalb war die Überraschung, die kollektive Euphorie nach dem 9. November 1989 so groß! Alles änderte sich durch die Europäische Revolution.

Nichts anderes war der Fall des Eisernen Vorhangs als eine Revolution der europäischen Bevölkerung - angefangen in Polen und Ungarn, über DDR und Tschechoslowakei, bis nach Rumänien und ins Baltikum. Die vorerst nahezu gewaltfreie Implosion eines maroden Weltreiches, der vollständige Zusammenbruch der alten Ordnung geschah völlig unerwartet und beispiellos. Selbst noch zu jung für irgendwelche Erinnerungen, scheinen die Schilderungen dieser Zeit, die erinnerten Gefühle dieser Tage doch stets auf eines hinauszulaufen: das unverhoffte Happy End des verheerenden 20. Jahrhunderts.

Obgleich die Europäische Revolution heute offensichtlich noch unvollendet ist, so hat sie doch aus einem zerklüfteten, unfreien Kontinent die Wirtschafts- und Währungsunion unserer Zeit geformt. Auf diese epochale Wende folgten nicht zu Unrecht Euphorie und Rausch, doch nahm die unverhoffte Erlösung mit dem Heilsversprechen blühender Landschaften bisweilen gar quasireligiöse Züge an. Wie anders soll man die Publikationen nennen, in denen der US-Politologe Francis Fukuyama den Hegelschen Weltgeist und das Ende der Geschichte neu beschwor.

Aber klar, nach den mannigfaltigen, weltweiten Revolutionen, Transitionen und Demokratisierungen der 70er bis frühen 90er Jahre lag auch einiges an Überzeugungskraft auf seiner Seite: Portugal, Griechenland, Spanien; Peru, Argentinien, Türkei, Uruguay, Brasilien; die Philippinen, Südkorea und weite Teile Europas; schließlich Paraguay, Chile, Südafrika und gar die ehemalige Sowjetunion! Wer hätte Fukuyama da mit unumstößlicher Gewissheit widersprechen können? War der universelle Sieg von Demokratie und Kapitalismus, von Liberalismus und Marktwirtschaft nicht wirklich das wahrscheinliche Ende der menschlichen Systemgeschichte? The happy end of history?

Inspiriert von dieser imposanten Domino-Dynamik hat er eine alte Erzählung neu formuliert. Ja gewissermaßen hat er Marx bzw. Hegel wieder von den Füßen zurück auf seinen Kopf gestellt: Statt sozialistischer Weltrevolution verkündet Fukuyama nun die zwangsläufige neuliberale Weltevolution zu Kapitalismus und Demokratie - in dieser Reihenfolge. Ohne Zweifel hatte er damit einen Nerv getroffen, speziell jenseits des großen Teichs, denn keine Deutung der welthistorischen Ereignisse passte besser zum neuen imperialen Anspruch der Vereinigten Staaten.

Die Fenster zur digitalen Globalisierung, zur Hochglobalisierung, waren aufgestoßen und der American Dream wurde zu ihrer Erzählung gemacht, ja zum ganzen Westlichen Traum empor gehoben. Das Narrativ war denkbar simpel: Freiheit und Wohlstand für alle, keine Mauern, keine Grenzen, und all das dank des und durch den neuen zügellosen Kapitalismus, befreit von jeglichen Reglementierungen. Wie von unsichtbarer Zauberhand werde sich das Demokratie-Domino fortsetzen, wenn man Märkte entfesselt und staatliche Interventionen zurückdrängt. Wahrlich ein Westlicher Traum - zu schön um wahr zu sein.

Während wir Millennials also noch unsere weitgehend sorglose Kindheit durchlebten, wurde dieser Traum aus der Taufe gehoben und millionenfach geträumt. Uns wurde eine scheinbar endlose Party prophezeit.

Vorwort

Ja, ich bin ein Schönwetterschriftsteller - zu Hause, im Winter, bei kaltem, nassen, schlechten Wetter kann ich einfach nicht kreativ sein, nicht schreiben, ich bin wie blockiert. Deswegen ist hier monatelang nichts passiert. Aber seit März geht es mit großer Geschwindigkeit voran, dank der Sonne kann ich viel spazieren gehen, kann ich mein Buch buchstäblich schreiten.

Ich springe wild durch die 8 geplanten Kapitel, ergänze hier, verdichte da, lese jede Woche neue Bücher zur Recherche und möchte Euch hier nun die erste Version des Vorworts präsentieren, damit ihr mir auch glaubt:

8. Klasse, erster Schultag. Ich wurde vor ein paar Tagen 14 Jahre alt und machte mich direkt nach der Schule mit Viktor daran, unser Klassenfoto kreativ zu verschönern - mit der Hilfe eines monströsen Scanners und Paint. Die Zeit verstrich, wir wechselten zu ihm nach Hause, weder bei mir noch bei ihm war ein Fernseher an. Auf dem Rückweg gegen 16 Uhr nahm ich bei Schlecker noch Smarties und eine Dose Cola mit und kam kurz vor dem Einsturz des zweiten Turms zu Hause an. Es war der 11. September 2001 und ich werde diesen Tag nie vergessen. Ich werde nie vergessen, dass ich bei Viktor war, Smarties gekauft habe oder den ganzen Abend wie gebannt auf unseren Röhrenfernseher starrte.

Natürlich wusste ich in diesem Alter nicht, was Terrorismus war, welche politischen Konsequenzen diese Tat haben würde, aber ich spürte die Tragweite des Ereignisses, spürte den Schock - der zum Ur-Schock meiner Generation, der Millennials, werden sollte. Es vergingen noch weitere vier desinteressierte Jahre bis ich als Erstwähler endlich meine Leidenschaft für Politik und Geschichte entdecken sollte, spätestens von da an begann ich so langsam an meinen Altersgenoss*innen zu verzweifeln. Wo blieb ihre Rebellion? Warum ging denn niemand auf die Straße?

Mit der Schule gab es 2003 zwar mal eine Demo gegen den Irak-Krieg, meine erste, dann kamen die unsozialen Hartz-Gesetze, doch keine*n in meinem Alter hat’s interessiert. So viele Missstände hier und auf der ganzen Welt, doch irgendwie tat sich gar nichts. Es folgten Finanzkrise, Schuldenkrise, Eurokrise, Fukushima, die so genannte “Flüchtlingskrise”, Brexit und Trump. Und über alledem immer die heraufziehende Klimakrise. Um fair zu bleiben: Ja, es gab hier und da kleinere Protestbewegungen wie Occupy, bei denen auch einige junge Leute mitmischten, doch auch diese vereinzelten Widerstandsversuche gegen die Krisenkaskade versandeten letztlich. Alles wurde immer nur noch schlimmer.

Auch ich persönlich schöpfte in diesen beiden Jahrzehnten zwischenzeitlich immer wieder Hoffnung - als Beobachter oder selbst als Akteur. 2008 verfolgte ich die US-Vorwahlen und Obamas Wahlnacht intensiv bis zum Morgengrauen, ein historischer Präsident! 2011 jubelte ich dem Arabischen Frühling zu und hoffte auf immer mehr freie und demokratische Länder, ein historischer Aufbruch! 2012 wurde ich dann zum Vorsitzenden der sächsischen Piratenpartei gewählt, einer neuen progressiven Partei in schon vier deutschen Landesparlamenten, historisch! Doch die 10er Jahre machten all meine Hoffnungsschimmer schnell wieder zunichte. Statt Obama, Arabischer Frühling und Piratenpartei hieß es nun: Trump, Syrischer Bürgerkrieg und AfD.

Egal was angepackt wurde, alles wurde immer nur schlimmer. Für die große Mehrheit meiner Mit-Millennials musste sich das wie eine Bestätigung anfühlen: wir können doch sowieso nichts ändern, wir haben schon genug damit zu tun, selbst im Leben voranzukommen! Und so verstärkte sich über die beiden Jahrzehnte ihr Bedürfnis nach Halt, nach Geborgenheit auf ein solch konservatives Maß, dass völlig zu Recht von einem neuen Spießer*innentum gesprochen wird. Auf einmal sind Religion und Heimat, Tradition und Ehe wieder in, Lokalpatriotismus und Regionalismus kehren zurück, Kinder und Bars bekommen hippe altdeutsche Namen wie Emil und Lisbeth. Holzfällerhemden, Hornbrillen und Bärte an jeder Ecke, die neuste deutsche Welle auf Spotify und jeden Sonntagabend der Tatort! Meine Generation Praktikum sucht sich echt jeden Halt, den sie in dieser Krisenkaskade kriegen kann.

Der Neu-Biedermeier war ihre logische Reaktion auf die allgemeine und dauerhafte Verunsicherung, direkt proportional zur Krisenintensität wuchs ihre Sehnsucht nach Ruhe, nach Sicherheit in einer unübersichtlichen, überkomplexen Welt. Das Ende der Erzählungen, das Ende der Geschichte und der Anfang von nichts. Postindustriell, postmaterialistisch, postheroisch, postideologisch, poststrukturalistisch, postimperial, postfaktisch, postdemokratisch - viel davor und wenig danach. Alte Gewissheiten durch ein orientierungsloses Präfix ersetzt, eine grundlegende und allgegenwärtige Postmoderne Krise.

Nach unserem parteipolitischen Scheitern zogen sich die wenigen Millennials, die es hier in Deutschland zumindest versucht hatten, letztlich auch ins Private zurück. Einzelne gingen auch zu anderen Parteien, doch weite Teile des Umfelds, das mich prägte und erst wirklich politisierte, zerfiel. In meiner Studienstadt Dresden wurde die Situation schließlich unerträglich: die AfD saß jetzt mit mehr als einem dutzend Abgeordneten in dem Landtag, für den selbst ich noch kandidiert hatte; der Pegida-Mob dominierte die Stadt und die deutschen Medien. Als ich 2014 beim Klassentreffen nur noch darauf angesprochen wurde, war klar: ich muss hier raus. Das war zu viel. Mit gleichsam desillusionierten Freund*innen verließ ich Dresdens nostalgische Puppenhausidylle und flüchtete in die Freiheit Berlins, diese tanzende Metropole am Puls der Zeit. Fortan unsere globale Enklave im Sturm des aufziehenden Nationalismus.

Mit jedem Jahr wurde der Rechtsruck nun heftiger. Was spätestens 2010 mit der Tea-Party, Orban und Sarrazins rassistischem Bestseller begann, führte über Xis Aufstieg und Putins Rückkehr ins Präsidentenamt hin zur Gründung der AfD, dem Ende des Arabischen Frühlings durch El-Sisis Militärputsch und der Niederschlagung der Gezi-Proteste durch Erdogan. In nahezu jedem Land gewannen Kräfte des rechten Spektrums jetzt die Wahlen, sofern es Wahlen gab. In Polen und in Indien, in Argentinien und auf den Philippinen - von rechtskonservativ bis rechtsradikal.

Diese Ereignisse hingen zumeist nicht unmittelbar zusammen, doch mittelbar beeinflussten sich die Wahlerfolge der oftmals erstaunlich Gleichgesinnten durchaus gegenseitig. Die mediale Weltöffentlichkeit und der direkte digitale Austausch brachten, welch Ironie, gerade die solitären nationalistischen Kräfte auf einmal in weltweite Wechselwirkung miteinander. Aus einstmals isolierten autoritären Splittergruppen, Bewegungen und Außenseiter*innen formte sich so eine Nationalistische Internationale heraus, mit einer erschreckend ähnlichen Agenda - Lügenpresse! Grenzen schließen! Wir sind das Volk! - von den Amerikas nach Europa, von Asien nach Afrika. All dies gipfelte dann im erschütternden Jahr 2016. Das ganze Jahrzehnt lang raunten wir schon "winter is coming" - und dann kam der Winter tatsächlich und sprengte jede Vorstellungskraft.

Nach abgegebener Bachelorarbeit war ich gerade auf einer Rundreise, als ich an einem frühen Junimorgen ungläubig auf mein Handy starrte: Völlig unerwartet wählte eine knappe Mehrheit Großbritanniens den Brexit, den Austritt aus der Europäischen Union. Wie konnte das nur passieren? Nur 4 Monate später war ich mir wieder ganz sicher - ja ich hätte auch meine zweite Hand dafür ins Feuer gelegt, dass solch eine Person niemals zum Präsidenten der USA gewählt werden könnte. Vielleicht würde es knapp, aber die Wahl dieses autoritären Egomanen, dieses rassistischen Postdemokraten war für mich einfach unvorstellbar. Gemeinsam mit Freund*innen saß ich die ganze Nacht vor dem Beamer und wir wurden zusehends fassungsloser. Bei Trumps Siegesrede in den frühen Morgenstunden des 9. November 2016 war ich nur noch wie gelähmt vor Schock.

Der politische Winter war gekommen, ein Kälteeinbruch wie ihn niemand kommen sah, der größte politische Schock meines Lebens. “Ein Solidaritätsbruch mit allen, die nicht zur sogenannten Mehrheitsgesellschaft gezählt werden”, wie eine Freundin schrieb. Ja, dieses Trauma hat sich ähnlich tief in meine Erinnerung eingebrannt wie damals der 11. September 2001, nur war ich diesmal im Vollbesitz meines politischen Bewusstseins. Die Tragödie von 2001 kehrte also 2016 als Farce zurück - damals begann unsere Verunsicherung, dies nun war nur noch Spott und Hohn auf jegliches Engagement, jeglichen Versuch gegen die Abwärtsspirale anzukämpfen.

Hier fing ich so langsam an, meine Mit-Millennials zu verstehen. Nach mehr als 10 Jahren enttäuschter Hoffnung und vergeblicher Anstrengung setzte mir die Frustration nun ebenfalls so zu, dass ich meine politischen Aktivitäten begrub und entschied, dieses Buch zu schreiben. Als Selbsttherapie eines weiteren überforderten Millennials - eine Kritik, eine Abrechnung, eine Analyse meiner passiven, angepassten Generation. Ich meine, wir waren ja schon so verzweifelt, Angela Merkel zuzujubeln, wie konnte es nur so weit kommen?

Doch dann geschah Erstaunliches, Unverhofftes, Hoffnungsvolles: Sie tragen die Namen Emma, Greta, Joshua - neue Held*innen betreten auf einmal das Rampenlicht, die politische Bühne der Welt. Sie kämpfen für Leben und Vielfalt, für Zukunft und Klimagerechtigkeit, für Freiheit und Demokratie. Und dieses Buch nimmt eine unerwartete Wendung.

Wozu wir Millennials nicht mehr fähig waren, desinteressiert und desillusioniert, eingeigelt in unserem häuslichen Kokon, das starten mal eben 14-, 16-, 18-jährige Schüler*innen. Befreit vom Ballast der Verunsicherung, mit dem Mut der Verzweiflung und Trump zum Trotz formiert sich eine neue Generation als der Widerstand, der wir nicht sein konnten und wollten. Aus der latenten Krisenkaskade sind heute existenzielle Bedrohungen geworden, die erste globale Generation kämpft jetzt um ihre Freiheit, ihre Zukunft, ihr Leben - sie hat nichts mehr zu verlieren. Alles wird nicht mehr schlimmer, es kann nur noch besser werden!

Nach dem schrecklichen School-Shooting im Februar 2018 in Parkland/Florida verharrten die überlebenden Schüler*innen nicht etwa in Trauer - nein sie organisierten sich, sie nutzten die digitalen Werkzeuge, die ihnen in die Wiege gelegt wurden, gründeten eine Anti-Waffen-NGO und initiierten mit dem March For Our Lives eine landesweite Massendemonstration mit mehreren Millionen Teilnehmer*innen. Hier hielt die 18-jährige Emma Gonzalez eine so bewegende Rede, die sie zum Symbol machte für den Kampf gegen Waffengewalt und Hass, für den Kampf ums Leben, ja ums Überleben. Eine “Generation Columbine”, aufgewachsen mit der perversen Normalität immer wiederkehrender Schulmassaker, kehrt ihren Schmerz nach außen und wandelt ihre Verletzungen in Engagement für andere um.

Nur 6 Monate später, im August 2018, streikte die 16-jährige Greta Thunberg zum ersten Mal vor dem schwedische Parlament für das Klima und blieb dafür gezielt dem Schulunterricht fern - inspiriert von eben jenen Parkland-Schüler*innen, die anfangs auch den Schulstreik als Protestmittel nutzten. Sie streikte fortan jeden Freitag für ihre Zukunft, für die Zukunft ihrer Generation und des ganzen Planeten - Fridays For Future war geboren. In wenigen Monaten wurden auch aus diesem Engagement für das Gemeinwohl eine Massenbewegung, gar eine globale und bis heute ist Greta Thunberg die Symbolfigur einer neuen rebellischen Generation, die wieder auf die Straße geht und kollektive Verantwortung übernimmt.

Im Juni 2019 schließlich wurde Joshua Wong aus dem Gefängnis entlassen, bereits als 14-Jähriger hatte er Demos und Besetzungen gegen die schleichende Gleichschaltung Hongkongs durch Chinas Diktatur organisiert und angeführt. Immer wieder wurde er festgenommen und zeitweise für seine Beteiligung an den Regenschirm-Protesten verurteilt. Rechtzeitig zur neuen Massenbewegung kam er nun frei und reiste um die Welt, um die globale Öffentlichkeit wachzurütteln, um auf die prekäre Situation seines Stadtstaates aufmerksam zu machen.  Mehr noch als die anderen beiden steht er für den Teil der globalen Generation, der Demokratie erst noch erkämpfen muss oder dessen prekäre Freiheit gänzlich gefährdet ist - nicht nur in Hongkong, sondern auch im Sudan, Pakistan, Ägypten, Brasilien, Chile und vielen anderen Ländern des Globalen Südens. Auch oder gerade weil die individuelle Bedrohung in dieser Konstellation viel direkter und akuter ist, ist es umso beeindruckender, dass so viele junge Menschen solche persönliche Risiken eingehen - für ihre Ideale und die Zukunft ihrer Gesellschaften.

Diese 3 jungen Held*innen stehen stellvertretend als die ersten globalen Namen und Gesichter ihrer Generation, hinter denen sich jetzt schon Massen versammelt haben. Aber auch die jüngste Friedensnobelpreisträgerin und Kinder- und Frauen- rechtsaktivistin Malala Yousafzai, die in Pakistan mit 15 Jahren ein Attentat überlebt hat, oder Zulaikha Patel, die als 13-Jährige in Südafrika gegen Rassismus und Diskriminierung schwarzer Schüler*innen aufbegehrte sind globale Symbole geworden - und viele weitere werden in den nächsten Jahren hinzukommen.

Symbole der größten Generation, die die Welt je gesehen hat, denn die Globals umfassen die geburtenstärksten Jahrgänge der Geschichte. Während hier in Europa zumeist nur von Überalterung gesprochen wird, lebten noch niemals so viele junge Menschen auf der Erde. Knapp 2,5 Milliarden, also gut ein Drittel der Weltbevölkerung, gehören zur ersten globalen Generation - und sie werden sich mehr und mehr verbinden, organisieren, zusammenschließen über den ganzen Globus hinweg. Denn die Globals werden bedroht, ihrer Zukunft beraubt von einem gemeinsamen Gegner.

Aufgewachsen in der digitalen Hochglobalisierung, vernetzt über Kontinente, können und müssen sie als erste globale Generation nie dagewesene Notlagen bewältigen - und sind dabei konfrontiert mit einer globalisierten Wirtschaft ohne politisches Gegengewicht, mit korrupten Staatsspitzen, die Wissenschaft und Fakten leugnen, mit nostalgischen Nationen, die ihr Heil in Grenzen und Egoismus suchen. Der weltweite Rechtsruck und die Nationalistische Inter- nationale sind aber nur vordergründig dieser gemeinsame Gegner. Ja, sie sind die konkreten Nutznießer*innen, sie profitieren von den vielfachen Krisen, sie verschlimmern, sie verschärfen und beschleunigen alle Notlagen - und deswegen müssen sie gestoppt werden, bekämpft werden, auf den Straßen, auf den Plätzen, in den Herzen, in den Köpfen! Einhalt gebieten, Widerstand leisten, wo es nur geht - doch all das wird nicht ausreichen.

Die Neuen Rechten, die AltRight, die Nationalistische Internationale wie auch all die vielen noch-nicht-rechten Regierungen, die vorauseilend nie wieder Geflüchtete aufnehmen und Grenzen abriegeln wollen - sie alle sind nur Symptome. Die Ursache, der wahre Gegner, ist die Postmoderne Krise selbst, eine Sackgasse ins philosophische Nichts, die größte geophysikalische Katastrophe. Eine materielle Krise des Handelns, der Wirtschaft, der Gesundheit, des Klimas - und eine immaterielle Krise des Denkens, der Identität, der Wahrheit, der Zukunft. Diese epochale Krise hat ein Vakuum gerissen, umfassende Orientierungslosigkeit gebracht, eine Welt im Chaos. 

Dauerhaft, langfristig, nachhaltig wird die Welt somit nur zu retten sein, wenn diesem Nichts eine Zukunft entgegengesetzt wird, die Leere gefüllt mit Sinn, Vision statt Vakuum. Die postmodernen Irrwege müssen korrigiert werden, nur so kann die Katastrophe abgewendet werden - vereint, nicht zersplittert, mit einem globalen Gesellschaftsentwurf, der Arm und Reich, Nord und Süd, Wirtschaft und Politik, Mensch und Natur wieder ins Gleichgewicht bringt. 

Nur die neue Generation bringt den Mut, die kollektive Verantwortung und die Einsicht mit, dem Ende der Geschichte und aller Erzählungen, der Postmodernen Krise ins Auge zu sehen und sie überwinden. Die Globals gehen aber auf keinen Marsch durch die Institutionen, nein sie müssen die neuen Institutionen überhaupt erst schaffen. Eine Erzählung formulieren, eine Symphonie komponieren von Leben und Vielfalt, von Zukunft und Klimagerechtigkeit, von Freiheit und Demokratie. Darauf hat die Welt gewartet!

Zuerst steht uns allen jedoch ein neues, stürmisches Grenzjahrzehnt bevor, die 20er Jahre. Ein Jahrzehnt des Übergangs, der Überlagerung, der Interferenz - das Alte ist noch nicht untergegangen und das Neue noch nicht geboren. Die Vergangenheit klammert sich an die Macht und die Zukunft steckt buchstäblich noch in den Kinderschuhen. In den nächsten Jahren werde diese Pole vielfach aufeinanderprallen und mannigfaltige Konflikte ausbrechen.

Just zu Beginn der neuen Dekade sind wir jetzt mit einer weiteren historischen Krise konfrontiert, der globalen Corona-Pandemie. Womöglich ist sie der entscheidende postmoderne Gamechanger und Zukunftskatalysator, ganz sicher aber ist sie der Brandbeschleuniger, der die Konflikte und Interferenzen der 20er Jahre in unvorstellbarem Ausmaß befeuert; der die gespaltenen Gesellschaften in Flammen setzt und die Postmoderne Krise weiter anfacht. Eine Welt im Chaos, voller Abstieg und Not, Leid und Tod, voller Falschmeldungen und Verschwörungstheorien, Grenzen geschlossen, die Globalisierung gestoppt, willkommen in der Rechtsruck-Welt.

Es hätte kein wichtigeres, kein besseres Timing geben können - die rebellischen Globals lösen die angepassten Millennials zum genau richtigen Zeitpunkt ab! Im Gegensatz zu uns haben sie die globalen Zusammenhänge früh erkannt und sind nicht paralysiert und überfordert von deren Komplexität. Ob 2016 oder 2020 - sie sind nicht verunsichert, nicht gelähmt durch diese Schocks, im Gegenteil. Wir wollten unsere Privilegien nicht riskieren, doch die Globals wissen: Wer überhaupt eine Zukunft auf dem Planeten haben möchte, muss handeln, provozieren, aufbegehren - es gibt eben nichts mehr zu verlieren. Und so rebellieren sie, organisieren und kämpfen - für eine Zukunft nach der Krise, für eine Ordnung nach den Nationen, für ein Zeitalter nach der Postmoderne.

Sie sind unsere zweite Chance, endlich doch noch Verantwortung zu übernehmen für mehr als unseren eigenen Lebenslauf. Ich war noch nie so glücklich wie in diesen Lockdown-Tagen, dass es diese neue Generation gibt. Online wie offline, global wie lokal, jeden Tag können wir einen Blick mehr auf das Mosaik der Zukunft werfen. In diesem Buch möchte ich dieser Hoffnung nachgehen. 

Lassen wir uns von autoritären Rückschlägen und nationalen Simulationen nicht täuschen - die Saat ist ausgesät, der Winter angezählt, der Frühling hat begonnen.

April 2020, Fl0range

Prioritäten

Vor 8 Wochen hatte ich mich zuletzt bei Euch gemeldet und leider waren das keine produktiven 8 Wochen. Der Oktober war ein krasser Arbeitsmonat und den halben November war ich nicht in Berlin und kam daher kaum zur Ruhe, kaum zum Schreiben. Das frustriert mich, das hat mich die letzten Wochen betrübt und beschäftigt - ich muss jetzt etwas ändern, sonst geht’s nicht voran.

Ich weiß nicht wie andere Menschen schreiben, aber ich brauche tatsächlich viel Leerlauf in meinem Kopf, ohne fremd- oder selbsterzeugten Druck beim Gedanken an die nächsten Tage. Wahrscheinlich setze ich mich manchmal zu sehr selbst unter solchen Druck und dann blockiert meine Kreativität - andererseits sprudeln die Ideen teils ohne Unterlass, wenn ich mal für einige Tage keine Verpflichtungen habe. Schwierige Mixtur, aber ich muss das Beste draus machen.

Klar ist: Das Schreiben muss in meinen Alltag integriert werden wie der Sport - was aktuell ironischerweise besser klappt - also brauche ich im Alltag schlicht mehr Leerlauf, mehr Raum für Kreativität. Und ich brauche zudem mehr Alltag, mehr Berlin - weniger Heimaturlaub, weniger Reisen, weniger Seminare.

Dieses Buch ist keine weitere Schnapsidee oder eine flüchtige Stimmung, nein, dieses Buch ist der Schlüssel für meine persönliche Zukunft. Und diese Priorität muss ich seiner Entstehung in Zukunft einräumen. Prioritäten setzen. Here we go!

Wie läuft's?

Eigentlich sollte ich hier ja regelmäßig bloggen, damit ihr mitbekommt, wie es mit dem Buch so läuft. Jetzt herrschte 3 Wochen Stille und wisst ihr warum? Weil es mit dem Buch ganz gut läuft! Tatsächlich hab ich gemerkt, dass mich der wöchentliche Blogpost eher vom Schreiben abhält und das ist wirklich nicht Sinn der Sache. In Zukunft möchte ich Euch nun alle 2 Wochen über den neusten Stand informieren.

Die Einleitung, die sich immer mehr zu einem Exposé entwickelt, ist fast fertig. Hier feile ich aktuell noch am letzten Drittel - parallel dazu lese ich ‘Generation Golf’ von Florian Illies, ebenfalls ein Buch, das persönliche Erfahrungen mit Generationsdeutung verbindet, allerdings über meine 80er-90er-Vorgeneration. Da kommen tatsächlich ein paar kleinere Kindheitserinnerungen hoch, doch umso markanter ist dann der Bruch in meiner eigenen Wahrnehmung ab dem Jahr 2000.

Hier setzt dann das erste Kapitel an (“00er Jahre”), das ich bis Mitte November fertig kriegen möchte. Meine aktuelle Kapitelstruktur lautet wie folgt:

1.) “00er Jahre”

2.) “Die Postmoderne Krise”

3.) “Millennials”

4.) “Rechtsruck”

5.) “2016”

6.) “Widerstand”

7.) “Generation Global”

8.) “20er Jahre”

Jedes dieser Kapitel soll ca. 20 DIN A5-Seiten umfassen, mit Einleitung und Schluss kämen dann insgesamt 180-200 Seiten zusammen, ideale Taschenbuchgröße. Sobald ich 1-2 Kapitel fertig habe, möchte ich die ersten Verlage mit einer Leseprobe kontaktieren, aber erstmal heißt es: genug gebloggt, jetzt wird weitergeschrieben. Bis in 2 Wochen!

Millennial-Frust

Vor 2 Wochen habe ich den ersten Absatz von ‘Generation Global’ geschrieben, mittlerweile bin ich bei 3 Seiten und habe eine grobe Gliederung - das ist ok, aber da geht noch mehr! Aktuell versuche ich das Schreiben noch besser in meinen Alltag zu integrieren. Nach dem Aufstehen, vor dem Schlafengehen, zwischendrin - länger als 30-60 Minuten am Stück geht bei mir sowieso nicht. Nächste Herausforderung: diverse Bücher lesen und daraus das Essentielle für mein Buch herausarbeiten.

Glücklicherweise starte ich aber nicht komplett bei Null, die erste konkrete Idee für ein Sachbuch hatte ich schon 2014, damals ist auch der Begriff der ‘Postmodernen Krise’ entstanden. Über die letzten 5 Jahre hat sich meine Analyse dann stetig weiterentwickelt - ich hatte mir in dieser Zeit auch bereits öfter vorge-nommen, mit dem Schreiben zu beginnen. Doch es hatte einfach noch nicht gepasst. Viele meiner engeren Freund*innen glauben deswegen schon länger nicht mehr daran, dass ich wirklich mal ein Buch schreibe - weil ich im kleinen Kreis schon so oft darüber gesprochen hatte.

Aber der Punkt ist: ich spreche einfach viel. Über alles was mich bewegt, was in meinem Kopf vor sich geht und da sind eben alle möglichen Zwischenstände dabei. Und sicher auch die eine oder andere Schnaps-idee. Aber das Buch gehört definitiv nicht dazu, dafür habe ich viel zu viel Spaß am Schreiben, an Sprache, an Formulierung. Mein langer Sommer-Urlaub hat eine Erkenntnis in mir gefestigt: ich muss mich auf meine Stärken fokussieren - und das sind Worte in jeder Form.

Letztes Jahr noch lautete der Arbeitstitel ‘Generation Merkel - warum sind wir nur so konservativ?’ und auf viele meiner Erkenntnisse über uns Millennials kann ich in ‘Generation Global’ jetzt aufbauen:

“Nach dem Scheitern zog sich ein großer Teil der politisierten Millennial-Minderheit - darunter so viele talentierte, inspirierende Personen - ins Private zurück. Manche gingen auch zu anderen Parteien, doch weite Teile des Umfelds, das mich prägte und mich erst richtig politisierte, zerfiel. Viele gesellten sich zur Mehrheit ihrer Altersgenoss*innen, wurstelten sich von nun an durch und verlagerten ihr politisches Bewusstsein ins individuelle Handeln.”

Zur großen angepassten Millennial-Mehrheit kamen nun auch noch diejenigen dazu, die es wenigstens versucht hatten. Das war eine harte, frustrierende Erkenntnis. Und wahrscheinlich auch der Grund, warum ich letztes Jahr noch kein Buch daraus machen konnte, es fehlte einfach die Hoffnung. Doch in diesem Jahr ließ ich mich vom Spirit der Globals, vom Spirit so inspirierender Menschen wie Greta Thunberg oder Joshua Wong, anstecken. Der Knoten ist geplatzt und in 2 Wochen hab ich dann mehr als 6 Seiten geschafft, here we go!

Neue Held*innen

Seit Jahren ist die 'postheroische Gesellschaft' in aller Munde, Heldentum scheint nicht mehr gewollt, nicht mehr gebraucht zu werden. Postmodern, postindustriell, postideologisch - da ist der Postheroismus nur konsequent. Eine aufgeklärte, mündige Gesellschaft hat solche Heldenfiguren doch nicht mehr nötig, oder?

Mal davon abgesehen, dass in den letzten 70 Jahren wohl keines vergangen ist ohne neuen Comic, Film oder Buch mit Super-Heldenfigur - es war nach den heißen und kalten Weltkriegen des letzten Jahrhunderts durchaus nachvollziehbar, dass sich die Gesellschaft langsam aber stetig von den zumeist verbrecherischen, zynischen oder gescheiterten “Helden” dieser Zeit distanzierte. 

Der klassische Heroismus war männlich und kriegerisch, vaterländisch und militaristisch, insbesondere in der westlichen Welt. Die Dekonstruktion dieser traditionellen Heldenverehrung - konserviert in unzähligen Kriegsdenkmäler weltweit - war ein notwendiger, überfälliger, emanzipativer Akt der Postmoderne. Ein weiteres ihrer befreienden Momente, jedoch seit dem Fall des Eisernen Vorhangs mit einer beunruhigenden Kehrseite: Die Distanzierung von jeglichem Heroismus hat eine mentale Krise verschärft, die sich seit Jahrzehnten - und bis heute - intensiviert.

Diese ‘Postmoderne Krise’ der neuen globalisierten Unübersichtlichkeit, des bunten und doch beliebigen ‘anything goes’ ist eine Krise der Ordnung und Orientierung, eine Krise von Sinn und Ziel. Im Buch werde ich darauf sehr detailliert eingehen, hier soll die These genügen: Der postmoderne Zeitgeist ignoriert mit voller Absicht das mentale Bedürfnis der Individuen, ein Teil von etwas Größerem zu sein. Jede Orientierung stiftende Ideenlehre wird als dogmatische “Ideologie” abgewertet und jedes heldenhafte Individuum gerät unter Generalverdacht.

Ein solcher postmoderner Postheroismus führt zwangsläufig zu einem Vakuum und facht die Sehnsucht nach Leitfiguren, nach Orientierung und Führung umso mehr an. Es ist insofern keine Überraschung, dass dieses Jahrzehnt zu einem Revival an rechtsautoritären Führer-Figuren geführt hat, der gesamte Rechtsruck ist mithin eine Reaktion auf die ‘Postmoderne Krise’. Und mit diesen Führer-Figuren kommt scheinbar der klassische Heroismus - männlich und militaristisch - zurück, ihr traditioneller Heldenkult wird wieder unter dem Teppich hervorgekehrt, befeuert vom Bedürfnis der Menschen nach Orientierung, Sinn und Ziel.

Glücklicherweise zeichnet sich seit 2018/19 jedoch auch das progressive Gegenangebot - ein Linksruck sozusagen - ab, dessen Hauptakteur*innen, wie es sich für die neue Zeit gehört, starke, visionäre Frauen sind. Diese feministische Trendwende ist überfällig und bringt einen ganzen neuen Held*innentypus hevor: Nach wie vor mutig, tapfer und unbestechlich - doch ernsthafter, weniger pathetisch, bescheidener und sich der eigenen “Stärke der Schwäche” bewusst. Verwundbarkeit und Devianz als nahbare, sympathische Norm des Underdogs, eine nachahmungsfähige Demokratisierung des Held*innentums.

Ob Captain Marvel im ‘Marvel Cinematic Universe’ oder Greta Thunberg im realen Alltag der Klimakrise, diese neuen Held*innen setzen dem klassischen Heroismus aus Blut und Eisen einen bunten, demokratischen Neu-Heroismus entgegen. Weitere Beispiele wie die Seenotrettungs-Aktivistin Carola Rackete oder die - hoffentlich - zukünftige US-Präsidentin Alexandria Ocasio-Cortez untermauern die Entwicklung eines neuen mehrheitlich weiblichen Held*innentypus als linke, progressive Alternative.

Auf diese Antwort hat die Gesellschaft nach den Irrwegen der Moderne lange gewartet. Wo wir Millennials (Generation Y) noch einem postheroischen Vakuum gegenüberstanden und das Revival rechter Führerfiguren mitansehen mussten - da haben die Globals (Generation Global) nun gleich eine Fülle an neuen Held*innen zum Vorbild, die für Zukunft, Orientierung, Sinn und Ziel einstehen. Das ist der Anfang einer neuen Zeit.

30. August 2020

Aller Anfang ist schwer. Das gilt umso mehr, wenn man seit Jahren ein Buch schreiben möchte und es aus diversen Gründen prokrastiniert hat. Über die Zeit habe ich unzählige Notizen, Ideen und Textfragmente angesammelt, aber ich sage Euch: Arbeitet diese immer erst im Nachgang in ein frisch geschriebenes Textgerüst ein! Nichts hält Euch mehr auf als der eigene Perfektionismus des Notizensichtens. Insofern habe ich mich diese Woche direkt in die Tasten gestürzt und versucht einen persönlichen Einstieg in mein „autobiographisches Sachbuch“ – wie ein Kumpel es vor kurzem nannte – zu finden. Lest selbst:

„8. Klasse, erster Schultag. Ich wurde vor ein paar Tagen 14 Jahre alt und machte mich direkt nach der Schule mit Viktor daran, unser Klassenfoto kreativ zu verschönern - mit der Hilfe eines monströsen Scanners und Paint. Die Zeit verstrich, wir wechselten zu ihm nach Hause, weder bei mir noch bei ihm war ein Fernseher an. Auf dem Rückweg gegen 16 Uhr nahm ich bei Schlecker noch Smarties und eine Dose Cola mit und kam kurz vor dem Einsturz des zweiten Turms zu Hause an. Es war der 11. September 2001 und ich werde diesen Tag nie vergessen. Ich werde nie vergessen, dass ich bei Viktor war, Smarties gekauft habe oder den ganzen Abend wie gebannt auf unseren Röhrenfernseher starrte.

Natürlich wusste ich in diesem Alter nicht, was Terrorismus war, welche politischen Konsequenzen diese Tat haben würde, aber ich spürte die Tragweite des Ereignisses, spürte den Schock - der zum Ur-Schock meiner ‘Generation Y’ werden sollte.“

Meine Thesen zur neuen ‚Generation Global‘ leiten sich stark vom Erleben meiner eigenen Generation her und ein wesentliches Orientierungsdatum hierbei ist der 11. September 2001. Natürlich aus politischer, aber primär aus sozialpsychologischer Sicht. Wie prägt ein solch schockierendes Ereignis das Aufwachsen einer Alterskohorte? Welche Auswirkungen hatte es auf das Sicherheitsempfinden von uns Heranwachsenden?

Heute in einem Jahr, am 30. August 2020, werde ich das Buch veröffentlichen, auf welchem Publikationsweg auch immer. Mit all den Möglichkeiten von digitaler und analoger Veröffentlichung werde ich mich jedoch erst beschäftigen, wenn ich mehr als die Hälfte geschrieben habe. Immer schön den Druck auf sich selbst aufrechterhalten.

Rechtsruck im Regenwald

Der Amazonas-Regenwald ist einer der bedeutendsten Kohlenstoff-Speicher und Stabilisatoren des globalen Klimas, und er ist leider schon lange bedroht; doch seit dem 01. Januar 2019 hat diese Bedrohung eine völlig neue Dimension erreicht. Brasilien hat einen Rechtsextremen zum Präsidenten gewählt: Jair Bolsonaro verherrlicht die frühere Militärdiktatur, diskriminiert und lügt in Trumpscher Manier und bestreitet die wissenschaftlichen Erkenntnisse seiner eigenen Behörden.

Nachdem die brasilianische Weltraumagentur vor kurzem die krass gestiegene Abholzung und Zerstörung des Regenwaldes mittels Satellitenbilder aufgedeckt hatte, feuerte Bolsonaro einfach deren Chef und behauptete in absurer Dreistigkeit vor aller Welt, die behördlichen Erkenntnisse seien nicht wahr. Zur unbequemen Wahrheit gehört vor allem dies: Im gesamten Amazonas-Regenwald sind alleine 100-200 Mrd Tonnen CO2 gebunden, also ein Drittel bis zur Hälfte dessen, was die ganze Mehrheit überhaupt noch ausstoßen darf, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens einzuhalten!

Dabei ist es schon heute extrem ungewiss, ob dieses verbleibende globale Emissionsbudget (ca. 400 Mrd. Tonnen CO2-Äquivalente) die Bregrenzung der globalen Temperatur noch garantieren kann - ohne irreversible Klima-Kipppunkte auszulösen. Brasilien ist insofern nicht nur ein weiterer Nationalstaat, der nach rechts kippt - mit allen klassischen Merkmalen der Neuen Rechten - dieser politische Machtwechsel ist eine rechte Kampfansage an die globale Jugend und an die Zukunft der gesamten Zivilisation. Kaum ein Staat hat mehr direkten Einfluss auf das Weltklima.

Die Reaktion auf dieses Umweltverbrechen muss daher eine globale sein - keine imperial-koloniale Schelte des Westens - sondern ein globaler Aufschrei der Jugend, von Brasilien bis Japan, von Kanada bis Indonesien. Kollektives poltisches Handeln, Protest, Streik, globale Aufmerksamkeit - und schließlich UN-Sanktionen! Harte Sanktionen gegen die brasilianische Landwirtschaft könnten den Raubbau im Regenwald effektiv unterbinden und dies muss sehr schnell geschehen, bevor der Niedergang Amazoniens irreversibel geworden ist.

Nur der Druck von der Straße wird die verschlafenen Nationalstaaten, die sklerotischen Vereinten Nationen überhaupt noch zum Handeln bewegen können. Und jeder Rechtsruck, jeder rechte Regierungswechsel zieht nur noch mehr Klimaignoranz, nur noch mehr Leugnung der Globalen Erhitzung nach sich. Wir stehen vor einem Jahrzehnt der Entscheidung. Die nationalistische Internationale eint ihr Egoismus und ihre Rücksichtslosigkeit gegenüber Andersdenkenden, Umwelt, Jugend, Zukunft. Die globale Jugend kann nur vereint gegen diesen Gegner bestehen - bunt, laut und solidarisch.

Commitment for future!

Es ist soweit, ich schreibe ein Buch.

Nach all den Jahren der Grübelei konnte mich ein Thema endlich so sehr begeistern, dass ich mich hier vor Euch in aller Öffentlichkeit zum Schreiben verpflichte: Über ‘Fridays For Future’ und andere globale Jugendbewegungen, darüber was sie miteinander verbindet, warum sie die erste ‘Globale Generation’ sind und warum meine Millennial-Generation im Gegensatz zu ihnen so passiv geblieben ist.

Auf diesem Blog werde ich meine Fortschritte dokumentieren, Auszüge posten und ab und an sicherlich auch einen tagesaktuellen Bezug zu meinem Projekt herstellen. Manche von Euch wissen, dass mir das stetige Schreiben zum Teil wirklich sehr schwer fällt - deswegen habe ich jetzt diesen Sprung zum Commitment gewagt. Es ist höchste Zeit zu handeln. Ich glaube, dass Worte meine Stärke sind und ich hiermit meinen Beitrag zu einer besseren Zukunft leisten kann.

Ich freue mich auf Eure Kommentare, Nachfragen und hin und wieder auf einen kleinen Stups, der mich die Prokrastination des Niederschreibens überwinden lässt!