Neue Held*innen

Seit Jahren ist die 'postheroische Gesellschaft' in aller Munde, Heldentum scheint nicht mehr gewollt, nicht mehr gebraucht zu werden. Postmodern, postindustriell, postideologisch - da ist der Postheroismus nur konsequent. Eine aufgeklärte, mündige Gesellschaft hat solche Heldenfiguren doch nicht mehr nötig, oder?

Mal davon abgesehen, dass in den letzten 70 Jahren wohl keines vergangen ist ohne neuen Comic, Film oder Buch mit Super-Heldenfigur - es war nach den heißen und kalten Weltkriegen des letzten Jahrhunderts durchaus nachvollziehbar, dass sich die Gesellschaft langsam aber stetig von den zumeist verbrecherischen, zynischen oder gescheiterten “Helden” dieser Zeit distanzierte. 

Der klassische Heroismus war männlich und kriegerisch, vaterländisch und militaristisch, insbesondere in der westlichen Welt. Die Dekonstruktion dieser traditionellen Heldenverehrung - konserviert in unzähligen Kriegsdenkmäler weltweit - war ein notwendiger, überfälliger, emanzipativer Akt der Postmoderne. Ein weiteres ihrer befreienden Momente, jedoch seit dem Fall des Eisernen Vorhangs mit einer beunruhigenden Kehrseite: Die Distanzierung von jeglichem Heroismus hat eine mentale Krise verschärft, die sich seit Jahrzehnten - und bis heute - intensiviert.

Diese ‘Postmoderne Krise’ der neuen globalisierten Unübersichtlichkeit, des bunten und doch beliebigen ‘anything goes’ ist eine Krise der Ordnung und Orientierung, eine Krise von Sinn und Ziel. Im Buch werde ich darauf sehr detailliert eingehen, hier soll die These genügen: Der postmoderne Zeitgeist ignoriert mit voller Absicht das mentale Bedürfnis der Individuen, ein Teil von etwas Größerem zu sein. Jede Orientierung stiftende Ideenlehre wird als dogmatische “Ideologie” abgewertet und jedes heldenhafte Individuum gerät unter Generalverdacht.

Ein solcher postmoderner Postheroismus führt zwangsläufig zu einem Vakuum und facht die Sehnsucht nach Leitfiguren, nach Orientierung und Führung umso mehr an. Es ist insofern keine Überraschung, dass dieses Jahrzehnt zu einem Revival an rechtsautoritären Führer-Figuren geführt hat, der gesamte Rechtsruck ist mithin eine Reaktion auf die ‘Postmoderne Krise’. Und mit diesen Führer-Figuren kommt scheinbar der klassische Heroismus - männlich und militaristisch - zurück, ihr traditioneller Heldenkult wird wieder unter dem Teppich hervorgekehrt, befeuert vom Bedürfnis der Menschen nach Orientierung, Sinn und Ziel.

Glücklicherweise zeichnet sich seit 2018/19 jedoch auch das progressive Gegenangebot - ein Linksruck sozusagen - ab, dessen Hauptakteur*innen, wie es sich für die neue Zeit gehört, starke, visionäre Frauen sind. Diese feministische Trendwende ist überfällig und bringt einen ganzen neuen Held*innentypus hevor: Nach wie vor mutig, tapfer und unbestechlich - doch ernsthafter, weniger pathetisch, bescheidener und sich der eigenen “Stärke der Schwäche” bewusst. Verwundbarkeit und Devianz als nahbare, sympathische Norm des Underdogs, eine nachahmungsfähige Demokratisierung des Held*innentums.

Ob Captain Marvel im ‘Marvel Cinematic Universe’ oder Greta Thunberg im realen Alltag der Klimakrise, diese neuen Held*innen setzen dem klassischen Heroismus aus Blut und Eisen einen bunten, demokratischen Neu-Heroismus entgegen. Weitere Beispiele wie die Seenotrettungs-Aktivistin Carola Rackete oder die - hoffentlich - zukünftige US-Präsidentin Alexandria Ocasio-Cortez untermauern die Entwicklung eines neuen mehrheitlich weiblichen Held*innentypus als linke, progressive Alternative.

Auf diese Antwort hat die Gesellschaft nach den Irrwegen der Moderne lange gewartet. Wo wir Millennials (Generation Y) noch einem postheroischen Vakuum gegenüberstanden und das Revival rechter Führerfiguren mitansehen mussten - da haben die Globals (Generation Global) nun gleich eine Fülle an neuen Held*innen zum Vorbild, die für Zukunft, Orientierung, Sinn und Ziel einstehen. Das ist der Anfang einer neuen Zeit.