Die Alte Ordnung muss fallen
Seit einigen Wochen verbreitet Russland ein perfides Narrativ in der Welt: es sei Verbündeter des unterdrückten Globalen Südens und führe einen antikolonialen Kampf gegen den Westen. Dabei war und ist Russland - wie später die Sowjetunion - ebenso eine wesentliche Kolonialmacht, welche die Alte Ordnung des 20. Jahrhunderts mit aufgebaut hat.
Die russischen Kontinental-Eroberungen ab 1547, vom Baltikum über die Ukraine, den Kaukasus bis nach Zentralasien, stehen dem europäischen Übersee-Kolonialismus in nichts nach. Auf dem Höhepunkt der Alten Ordnung in den späten 1950er Jahren beherrschte das Gleichgewicht des Schreckens aus Ost und West - oder besser der Globale Norden - den Süden fast vollständig.
Und gerade der beginnende Zerfall der Kolonialordnung ab den 60ern, die Dekolonisierung im Zeichen des Kalten Krieges, ließ die Ost-West-Stellvertreterkriege nur mehr eskalieren. Ohne Frage hat der Westen, die USA insbesondere, schreckliche Verbrechen begangen und ihre eigenen Werte vielfach verraten - doch die Sowjetunion war hier nicht besser, auch sie betrieb trotz sozialistischer Befreiungsrhetorik gnadenlose Macht- und Einflusspolitik.
Im 21. Jahrhundert muss der Kolonialismus des Nordens nun ein für allemal enden, die Alte Ordnung - fossil, national, kolonial - muss fallen. Eine neue Zeit ist angebrochen: Digitalglobalisierung und Klimakrise erzwingen einen historischen Umbruch, verlangen nach einer geeinten und handlungsfähigen Welt. Die alte Hierarchie der Nationalstaaten hingegen - America und Russia First - führt uns mit Gewalt und Terror zurück in eine Vergangenheit, die längst nicht mehr existiert.
Es ist höchste Zeit für ein neues Bündnis der einst Unterdrückten, ein zukünftiger Klima- und Demokratie-Club wird maßgeblich von den Dekolonisierten getragen werden. Von den jungen Demokratien des Globalen Südens, aber auch von der ebenso jungen Europäischen Union, deren Staaten in großer Mehrheit auch einst Unterdrückte waren. Recht statt Macht, transnationale Integration statt isolationistischer Spaltung - die “kleinen” Staaten sind hier Vernetzungsgewinner, die großen Vernetzungsverlierer, was im Übrigen die reaktionären und anti-globalistischen Kräfte in den einstigen Imperien (Frankreich, UK, USA, Russland) bestens erklärt.
Der Westen muss enden und mit ihm seine Alte Ordnung. Wir sollten keine Angst mehr davor haben, die alte Industrielle Ordnung war nie sozial, gerecht oder sicher - sie war nur ein kolonialer Kompromiss, eine segregative Mittelstandsgesellschaft, ein weißer Sozialstaat auf Kosten des Globalen Südens.
Eine neue Ordnung zu erkämpfen - nachhaltig, globalistisch, inklusiv - wird Jahre und Jahrzehnte dauern, aber es wird gelingen. Nur so werden letztlich Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit für alle Menschen möglich. Für diese Zukunft kämpft heute schon die Ukraine und wir müssen uns ihnen anschließen - für alle Unterdrückten und gegen den historischen Unterdrücker Russland.